Muskelaufbau beim Pferd mit den richtigen Aminosäuren

Shosho und ihre Ausbilderin Eilika Böye reiten von rechts nach links. Eilika Böye galoppiert die Stute gerade an.
Angaloppieren stärkt die Muskeln an Bauch und Kruppe, deshalb sind häufige Übergänge besonders wertvoll. Foto: Maresa Mader

Ohne Muskeln keine Dressur: Muskeln bringen Bewegung ins Pferd, und nur dank Bewegung bleibt es gesund und fit für harmonische Lektionen von Klasse E bis Klasse S, die wir in der Dressur bewundern. Klingt logisch, und deshalb schauen wir uns heute an, wie der Muskelaufbau beim Pferd gelingt.

Bei der 2021 sechsjährigen Hannoveranerstute Shosho, unserem Shoshologisch-Blog-Schützling, sehen wir diese Entwicklung sehr schön, seit sie im Dressurzentrum Aubenhausen zur Ausbildung ist. Das lässt sich anhand der Fotos seit dem Blog-Start im Januar gut verfolgen.

Im Winter 2020/2021 wirkt Shosho noch jugendlich-schlaksig. Foto: Maresa Mader
Shosho, hier sechsjährig im Mai 2021, hat durch korrektes Training und passende Ernährung alterstypisch Muskeln aufgebaut. Foto: Maresa Mader

Wenn wir dieses Bild, auf dem Shosho altersgemäß jugendlich-schlaksig wirkt, mit aktuelleren Fotos aus dem Mai vergleichen, sehen wir: Binnen eines Vierteljahres ist die Stute mit Stockmaß 1,65 Meter reifer und proportionierter geworden, hat durch korrektes Training und passende Ernährung an den richtigen Stellen Muskeln aufgebaut.

Was wir als wohlgeformt beurteilen, sind Skelettmuskeln, die für die Motorik im Pferd zuständig sind. Im Gegensatz zur glatten Muskulatur des Verdauungs- und Gefäßsystems handelt es sich beim Herzmuskel (dem Kreislaufmotor) und den Skelettmuskeln (dem Bewegungsmotor) um quer gestreifte Muskeln.

Muskeln als Kraftkammern voller Proteinfäden

Skelettmuskeln sind über Sehnen an den Knochen fixiert und erzeugen die Pferdestärken. Dafür sorgen unzählige Muskelfaserbündel, die bepackt sind mit elastischen Muskelfibrillen. Die Fibrillen sind die eigentlichen Kraftmaschinen. Sie bestehen aus mikroskopisch winzigen Kraftkammern, in denen sich die Muskelproteinfäden Actin und Myosin die Hand reichen und Bewegung ins Pferd bringen.

Damit sich der Muskel zusammenziehen (kontrahieren) und über die Hebelwirkung der Sehnen die Knochen bewegen kann, gleiten Actin und Myosin ineinander. Den Impuls dafür bekommen sie von elektrischen Nervensignalen, die außen an den Muskelzellen ankommen. Über den Botenstoff Kalzium gelangt das Signal ins Zellinnere. Dort verbindet sich das Kalzium mit den Actin-Fäden und legt Andockstellen für Myosin-Moleküle frei, die sich klimmzugartig zwischen die Actin-Fäden ziehen.

Wenn sich Myosin wieder von Actin löst, erschlafft der Muskel. Angetrieben wird diese Actin-Myosin-Maschine vom Zellkraftstoff Adenosintriphosphat (ATP). ATP gewinnen Pferde über den Kohlenhydratstoffwechsel, also aus Futterstärke.

Dieses Verbrennungsfeuer im Muskel wird durch Sauerstoff angefacht, den der rote Muskelfarbstoff Myoglobin in die Muskelzelle transportiert. Pferdemuskeln enthalten sehr viel Myoglobin, mit dem die Natur das Pferd für ausdauernde Muskelleistungen wappnet.

Für die Ausdauer: Muskelfasern Typ 1

Besonders viel Myoglobin steckt in den roten Muskelfasern, die für sauerstoffzehrende Ausdauerleistungen zuständig sind. Die meisten dieser langsam, aber ermüdungsresistent kontrahierenden Typ-1-Fasern (Slow twitch) finden Forscher bei Distanzpferden und generell in statischen Muskeln nahe den Knochen, die das Pferd stabilisieren.

Für die Dressur: Muskelfasern Typ 2a

Spritzigkeit gewinnt ein Pferd aus seinen Typ-2-Muskelfasern (Fast twitch). Für kraftvolle Ausdauerleistungen wie etwa auf der Vielseitigkeits-Geländestrecke kommen Muskelfasern vom Typ 2b ins Spiel. Sie sind sehr reaktiv und dabei ermüdungsresistent. Am schnellsten, aber auch am schnellsten müde, sind Muskelfasern vom Typ 2a, die für explosive Dressurlektionen oder in Westerndisziplinen wie Reining und Cutting wichtig sind.

Gut zu wissen

Grundsätzlich finden sich alle drei Muskelfasertypen 1, 2a und 2b in jedem Pferd. Die Anteile sind je nach Zuchtziel, Einsatzzweck und Geschlecht unterschiedlich. So fanden Forscher bei Hengsten etwa mehr Typ-2a-Fasern und weniger Typ-2b-Fasern als bei Stuten.

So viel zu den mikroskopisch kleinen Kontraktionen im Muskel, die von Muskelproteinen erzeugt, vom Zellkraftstoff ATP aus Kohlenhydraten angetrieben und von Sauerstoff befeuert werden.

Für uns Reiter fängt damit die Arbeit an, denn das biochemische Phänomen des Muskelmotors, der über Sehnen und Knochen Fortbewegung erzeugt, ist erst die Basis für ein ganzheitliches Trainings- und Ernährungskonzept. Schließlich sollen Pferde nicht nur ihr eigenes Gewicht von A nach B bewegen, sondern koordiniert und geschmeidig nach den Regeln der Reitkunst mit uns tanzen.

Das gilt erst recht für ein Nachwuchsdressurpferd wie Shosho. Ihre Ausbilder Eilika Böye und Benjamin Werndl im Dressurzentrum Aubenhausen streben an, Shoshos Muskelpartien mit langfristig angelegtem, abwechslungsreichem Aufbautraining so optimal zu entwickeln, dass sich die Stute von der leichten zur schweren Dressurklasse hin steigern kann.

Das physiologische Grundprinzip des Pferdemuskels, nämlich das Kontrahieren und Lösen mikroskopisch winziger Proteinfäden, wird dabei zum Grundprinzip der ganzen Reiterei: In der Pferdeausbildung geht es immer um abwechselndes Anspannen und Entspannen, um Annehmen und Nachgeben, Verkürzen und Verlängern, Versammeln und Dehnen.

Bauchmuskeln und Rücken: perfekte Gegenspieler

Von Gegensätzen und Abwechslung lebt auch das muskuläre Zusammenspiel der Gliedmaßen. Es folgt dem Gegenspielerprinzip der Biologie und besagt, dass jeder Muskel (Agonist) einen Gegenspieler (Antagonisten) braucht. Während der Streckermuskel sich aktiv verkürzt, wird immer der Beuger passiv gedehnt.

Über den ganzen Körper betrachtet geht es im Muskelspiel um Gegensätze, die ein Ganzes ergeben. Um beispielsweise den Rücken aufzuwölben, spannt das Pferd die Bauchmuskulatur an. Damit das Pferd sich aufrichten und in der Vorhand leicht werden kann, muss es die Muskulatur der Hinterhand einsetzen und die Hanken beugen können.  

Für den Muskelaufbau beim Pferd sind dosierte Trainingsreize und kurze Reprisen mit Pausen die Zauberformeln erstklassiger Pferdeausbilder. Und: Es braucht viel Geduld.

„Die Ausbildung von mentaler Stärke bis Muskelkraft orientiert sich an den Möglichkeiten des Pferdes und nicht am Fernziel, dass es einmal Grand Prix gehen muss.“

Benjamin WerndlHead Coach im Dressurzentrum Aubenhausen

Die Versammlungsbereitschaft beim jungen Dressurpferd erreichen wir nicht innerhalb weniger Monate, sondern durch systematischen Muskelaufbau beim Pferd und Muskelerhaltung über Jahre hinweg.

Das Pferd benötigt für Dressurleistungen außer Muskelkraft nämlich auch Koordination und Kondition. Es soll sich nicht nur bewegen können, sondern beweglich werden. Auch die mentale Entspannung ist gerade beim jüngeren Dressurpferd wichtig, damit es seine Muskeln sinnvoll anspannen lernt, statt zu verspannen.

Wenn, wie bei Shosho, auf dem Weg aktuell zur Klasse M systematisch die Versammlung verbessert werden soll, fragen die Ausbilder das Verkürzen und Versammeln öfter ab und bauen es peu à peu von kurzen Momenten zu längeren Phasen aus.

Muskelaufbau beim Pferd während der Pause

Beim Zügel aus der Hand kauen dehnt Shosho die Oberlinie; die muskuläre Beanspruchung ändert sich von An- zu Entspannung. Foto: Maresa Mader

Ganz wichtig ist dabei, immer mit Phasen der Dehnung und Entspannung abzuwechseln nach dem Prinzip Arbeit und Pause. Das Pferd zeigt selbst an, wenn seine Tragkraft ermüdet: Es senkt langsam den Kopf.

Nun fordern wir es auf, die Haltung noch etwas beizubehalten, setzen also einen leichten Trainingsreiz. Senkt es den Kopf häufiger, darf das Pferd sich für ein paar Momente dehnen oder Zügel aus der Hand kauen – die Muskeln haben kurz Pause.

Wird die Zeit, in der das Pferd die Tragkraft aufrechterhalten kann, im Lauf der Trainingseinheit kürzer, sind die Reserven im Muskel verbraucht. Jetzt setzt ein Trainingseffekt ein: Der Körper erhöht seinen Stoffwechsel, um Energie für die Muskelaktivität schneller zur Verfügung zu stellen, Muskelkoordination zu verbessern, Kraft zu sparen und Muskelmasse aufzubauen.

Dieser Muskelaufbau beim Pferd findet in der großen Pause statt. Stark beanspruchte Muskelgruppen brauchen nach jedem Trainingsreiz 48 Stunden Regenerationszeit.

Auch das spricht für abwechslungsreiches Training, das unterschiedliche Muskelgruppen anspricht oder schont. Bei Shosho wechseln sich Dressurarbeit, Longieren, Freispringen, Training auf der Galoppbahn und entspanntes Ausreiten ab.

Ziel der Trainingsreize ist es also, den Muskelaufbau beim Pferd durch Beanspruchung und fein dosierte Überforderung zu fördern. Der Querschnitt der Muskelfasern vergrößert sich, der Muskel gewinnt an Volumen (Muskelhypertrophie).

Gut zu wissen

In der Erholungsphase lagert der Muskel neue Bausteine ein und regeneriert.

Welches Baumaterial holt sich das Pferd für diesen Nachschub aus dem Futter? Spontan denken wir an Proteine, denn sie spielen bei der Muskelfunktion die Hauptrolle – siehe die Wechselwirkung der Actin-Myosin-Strukturpolypeptide.

Eiweißquellen für Muskelaufbau beim Pferd

  • Heu
  • Weidegras
  • Kraftfutter
  • Eiweißhaltige Futterzusätze

Die Basis für die Proteinversorgung legt das Grobfutter Heu. Sein Eiweißgehalt schwankt jedoch stark, abhängig von Qualität und Schnittzeitpunkt des Grases. Reichen die Proteine aus dem Heu für die Muskelversorgung?

Das hängt vom Pferd und vom Heu ab. „Bei einem gesunden erwachsenen Freizeitpferd mit geringer Trainingsleistung deckt ein qualitativ hochwertiges Heu im Allgemeinen den Proteinbedarf ab“, sagt Dr. Kathrin Irgang, Tierärztin aus Berlin mit Schwerpunkt Ernährung.

Bei Pferden mit Stoffwechselkrankheiten, bei Senioren, bei reduzierter Heumenge oder minderer Qualität des Grobfutters ist die Proteinzufuhr über das Heu im Sinne eines Idealproteinkonzeptes allerdings nicht immer optimal. 

Im Galoppdetail belastet Shosho den äußeren Hinterfuß und greift mit dem inneren gleichzeitig weit unter den Schwerpunkt. Schön ist das Muskelspiel der Hinterhand zu sehen. Seitengänge wie die Traversale beanspruchen die Muskeln im Pferd durch Untertreten, Kreuzen und Biegen. Foto: Maresa Mader

„Auch bei einem Sportpferd könnte es eng werden, zumindest bei Heu aus spätem Schnitt, das stängel- und somit rohfaserreich ist“, so Shoshologisch-Expertin Irgang. „Da rate ich zu früher geschnittenem Heu mit höherem Blatt- und damit Proteinanteil.“

Zum Heu kommt im Sommer Gras, je nach Weidemonat stark schwankend im Eiweißgehalt. „Im Juni frisst das Pferd mit dem Gras jede Menge Proteine“, sagt Dr. Irgang, die im Zweifel eine Nährwertanalyse empfiehlt, um ein dauerhaftes Zuviel ebenso auszuschließen wie einen Mangel an hochwertigem Eiweiß und Aminosäuren.

Dritte wichtige Eiweißquelle ist das Kraftfutter. Der Rohproteingehalt in den Getreidearten Hafer und Gerste ist dabei etwa gleich und liegt höher als im Mais. Proteinträger Nummer 1 beim Kraftfutter ist Sojaextraktionsschrot. Das bekommen vor allem Zuchtstuten und Fohlen , da sie einen stark erhöhten Eiweißbedarf haben.

Voller Proteine: Soja, Luzerne, Bierhefe

Damit sind wir bei speziellen Futterzusätzen, mit denen wir Proteine, also Aminosäureketten, ins Pferd bringen. Neben Soja sind Luzerne (frisch oder als Grünmehlpellets) und Bierhefe wichtige Proteinlieferanten in der Pferdeernährung, wenn Heu, Gras und Kraftfutter nicht ausreichen.

Daneben gibt es immer mehr Nährstoffkonzepte mit Produkten, die gezielt wichtige Aminosäuren zuführen.

Gut zu wissen

Bei den essenziellen Aminosäuren, die ein Pferd nicht selbst aus komplexem Eiweiß gewinnen kann, sondern gezielt über das Futter aufnehmen muss, haben sich in Studien insbesondere Lysin und Methionin, für die Muskelbildung auch Threonin als begrenzend erwiesen. Fehlt eine dieser Aminosäuren, beeinträchtigt dies Entwicklung und Wachstum.

Unabhängig davon, wie viele Aminosäuren und Proteine im Futter stecken, ist es laut Dr. Irgang wichtig, dass diese dem Pferd tatsächlich zur Verfügung stehen.

„Wenn das Pferd Futterfasern nicht richtig zerkleinern und die Zellen nicht aufschließen kann, kommt es nicht ran ans Eiweiß.“

Dr. Kathrin IrgangTierärztin mit Schwerpunkt Ernährung aus Berlin

Proteine und Aminosäuren müssen im Dünndarm resorbierbar sein, damit das Pferd sie verwerten kann. Deshalb müssen nach neuesten Richtlinien bei Futtermitteln nicht nur Rohproteingehalte angegeben werden, sondern der Anteil an verdaulichem oder noch genauer präcaecal verdaulichem (pcv) Rohprotein.

„Einige Futtermittelhersteller deklarieren das allerdings nicht“, so Dr. Irgang. Sie rät zudem, auf die Liste der enthaltenen Aminosäuren zu achten. „Die existiert manchmal nicht. Da wird zum Beispiel erwähnt, dass ein Muskelaufbaufutter Soja und Algen enthält, aber es wird keine Aminosäure aufgelistet.“

Schutz für den Muskelaufbau beim Pferd

Neben Aminosäuren und Proteinen enthalten muskelstärkende Zusatzfuttermittel häufig auch Mikronährstoffe für eine reibungslose Funktion der Muskelzellen. Sinnvoll ist Vitamin E, denn es wirkt als Antioxidans, das auch Muskelzellmembranen vor freien Radikalen schützt.

Im Gras noch ausreichend vorhanden, wird Vitamin E im Heu beim Trocknen und Lagern abgebaut. Wichtig ist außerdem Selen als Zellmembranschutz der Herz- und Skelettmuskeln. Speziell Leistungspferde haben erhöhten Bedarf und können bei Mangel Muskelverspannungen und Steifheit zeigen.

„Bei Selenzufütterung sollte zunächst anhand einer Rationsberechnung überprüft werden, ob ein Selendefizit vorliegt“, empfiehlt Dr. Irgang. „Bei Vitamin-E-Zufütterung sind Pferde gegenüber Überdosierung tolerant.“

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