Gesund anweiden: So gewöhnen wir Pferde ans Gras

Shosho grast. Rechts neben ihr steht ihre Pflegerin Yvonne Baumgärtner, die den rechten Arm übe Shoshos Widerrist gelegt hat. Sie geht fast täglich mit Shosho grasen.
Hier darf ich Pferd sein: Pflegerin Yvonne Baumgärtner sorgt für mich, damit ich rundum gesund bleibe. Grasen und Koppel gehören natürlich dazu.

Pferde kommen aus der Steppe und haben ursprünglich nur Gras gefressen. Auch in den Genen von Stute Shosho schlummert noch die Vorliebe für dieses natürlichste Futter. Klingt logisch. Aber wie baut man das Lieblingsfutter Gras und den Lieblingsfressplatz im Alltag ein, wenn wir gesund anweiden wollen?

Das Schlüsselwort heißt gesund anweiden oder angrasen. Mit diesem schonenden Prozedere, das beim Pferd jedes Frühjahr ansteht, verliert Gras seinen Schrecken, den es leider für viele Reiter heute hat: Sie fürchten sich vor der im Gras üppig enthaltenen Zuckerart Fruktan, der Hufrehe auslösen kann, vor der angeblich träge machenden Nährstoffwucht des Grases und auch davor, dass ihr wertvolles Pferd sich womöglich beim Weidegang verletzt.

Alle Wege führen zum Gras: Die Anlage in Aubenhausen ist über gepflegte Reitwege erschlossen. Foto: Maresa Mader

Natürlich gibt es wie immer rund ums Pferd nie 100-prozentige Sicherheit, dass nichts passiert. Die wohltuende Wirkung von Weidegang und Grasfressen auf die Psyche, den Bewegungsapparat, auf Verdauung und Allgemeinzustand sind jedoch so überwältigend, dass jedes Pferd die Chance dazu haben sollte, sofern sein Gesundheits- und Gewichtszustand es irgend zulässt.

„Nach getaner Arbeit gehen wir am Halfter auf die Wiese zum Abgrasen, kurz vor der Koppelsaison immer ein bisschen länger.“

Yvonne BaumgärtnerShoshos Betreuerin im Dressurzentrum Aubenhausen

Zuhause bei Shosho im Dressurzentrum Aubenhausen gehört Koppelgang auf den großen Weiden deshalb für alle Pferde vom jungen Berittpferd bis zum Grand-Prix-Crack zum Alltag. In diesem Jahr gehen sie von April bis in den Herbst auf die Weide; jeden Morgen zwei bis drei Stunden.

Zum Alltag gehört auch, dass Shosho wie ihre Stallkumpel fast das ganze Jahr über grasen darf. So wird aus dem ganzjährigen Abgrasen im Frühjahr nahtlos das Angrasen, und so geht gesund anweiden ganz einfach, erzählt Shoshos Betreuerin in Aubenhausen, Yvonne Baumgärtner.

Die wichtigsten Fakten über Fruktan

Weil Sicherheit auch beim Thema Weide von Wissen abhängt, hier zunächst die wichtigsten Fakten über Gras und Fruktan. Über diesen leicht wasserlöslichen Speicherzucker in der Graspflanze, der zu den Fructooligosacchariden (FOS) zählt, haben Forscher in den vergangenen Jahren einiges herausgefunden, was das Risiko kalkulierbarer und gesundes Anweiden sicher macht.

Die Graspflanze gewinnt Fruktan tagsüber über die Photosynthese, also die Umwandlung von Wasser und Kohlendioxid in Zucker mit Hilfe von Licht und dem Blattgrün Chlorophyll. Je nach Wetter mobilisiert die Pflanze den Zucker sofort als Energie für ihr eigenes Wachstum oder lagert Fruktan als Reserve ein und wartet mit dem Wachsen, bis sich das Wetter bessert.

Entscheidend ist es deshalb für Pferdebesitzer, das sogenannte Fruktanwetter einschätzen zu lernen: Ist es feucht, eher bedeckt und moderat warm, gilt grünes Licht für Weidegang, denn das sind optimale Wachstumsfaktoren für Gras, das jetzt sein Fruktan verbraucht.

Mit den Tasthaaren erkunden Pferde die Wiese und können Steine vom Gras unterscheiden. Was nicht für gut befunden wird, kommt nicht ins Maul. Foto: Maresa Mader

Ist es dagegen sehr trocken, sehr sonnig oder unter 8 Grad kalt, kann Gras nicht wachsen. Die Pflanze braucht den Zucker dann nicht, sondern speichert ihn. Jetzt herrscht Alarmstufe Rot auf der Pferdeweide, denn mit dem Gras frisst das Pferd bei solchem Wetter eben auch viel Fruktan. Besonders gefährlich ist Sonne in Kombination mit Kälte.

Je nach Dosis kann Gras dann Gift sein für sensitive Pferde. Bei ihnen übersäuert Fruktan leicht den Darm und löst ein Massensterben der Darmmikroben aus. Die Endotoxine ihrer Abbauprodukte gelangen über die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf und lösen in der Huflederhaut die gefürchtete Entzündung aus – Hufrehe entsteht. 

Vorsicht mit Fruktan bei EMS oder Insulinresistenz

Wie viel Fruktan es dazu braucht, hängt sehr stark von den Vorerkrankungen des Pferdes ab. Forscher vermuten nämlich heute, dass Fruktane gar nicht die direkte Ursache für Hufrehe sind, sondern der Auslöser, wenn das Pferd bereits vorbelastet ist durch Fettleibigkeit und Stoffwechselprobleme: Equines Metabolisches Syndrom (EMS), Insulinresistenz, Equines Cushing Syndrom. Das Fruktan im Weidegras könnte dann der Tropfen sein, welcher das Fass bei diesen Pferden zum Überlaufen bringt.

Wenn Pferde anfällig sind für Kolik oder Hufrehe, ist beim Anweiden und generell bei der Entscheidung „Koppel ja/nein, und wie lange?“ daher besondere Vorsicht geboten. Falls Patienten mit EMS oder Cushing auf die Weide dürfen, erfolgt der Zeitplan in Absprache mit dem Tierarzt und wird auf Fütterung und Medikamente abgestimmt.

Gut zu wissen

60 Prozent aller Pferde gehören zur Risikogruppe der Fettleibigen, die durch energiereiche deutsche Turbograssorten in großen Mengen überfordert sind, schätzen Experten.

Betroffen sind vor allem leichtfuttrige Robust- und Spezialrassen, die meist weniger stark gearbeitet werden und genetisch bedingt gute Futterverwerter sind.

Auch bei Dressur- und Westernpferden gibt es zunehmend dicke Exemplare, was EMS als eine Art chronische Entzündung im Körper begünstigt. Sie wird durch Gewebshormone verursacht, die von Fettdepots freigesetzt werden und den Stoffwechsel blockieren. Wird diese Stoffwechselblockade chronisch, bekommt das Pferd eine Insulinresistenz. Genau bei diesen Pferden ist gegenüber energiereichem Gras Vorsicht geboten.

Weil wir außerdem wissen, dass auch die Fruktanmenge im Gras extrem schwankt – Forscher an der Tierärztlichen Hochschule Hannover fanden heraus, dass im Frühjahr und Herbst die Fruktanwerte im Weidegras höher sind als im Sommer, und dass die Werte innerhalb eines Monats um den Faktor 8 schwanken können –, sollten wir als Pferdebesitzer wachsam sein und für ein gesundes Anweiden die Weidezeiteinteilung, das Wetter sowie das individuelle Pferd im Auge behalten.

14-Tage-Regel: Darmbakterien mit Gras anfüttern

Gras-Gehorsam: Die Halme locken verführerisch, doch Shosho bleibt brav auf dem Weg. Foto: Maresa Mader

Ob vorbelastet oder kerngesund, das Anweiden selbst gestalten wir zur Sicherheit immer häppchenweise, damit sich die Darmbakterien nach dem Winter auf das ungewohnte Angebot an Kohlenhydraten, Eiweiß und vielen weiteren heterogenen Bestandteilen im Gras langsam gewöhnen können.

Die meisten Stallbetreiber beginnen je nach Wetter Anfang Mai mit gemähtem Grünfutter, das sie Pferden in der Box oder auf dem Auslauf füttern: eine Handvoll Gras, eine Gabel Gras, dann zwei Gabeln und so fort. Schließlich kommen die Pferde stundenweise auf die Koppel. Etwa zwei Wochen rechnet man für das Angrasen in kleinen Schritten, das Pferde vor Kolik oder Hufrehe schützt.

Wo ist das Gelbgrün leckerer? Löwenzahnblüten hat Shosho zum Fressen gerne.

In vielen Ställen ist es im Frühjahr üblich, mit seinem Pferd am Strick selbst grasen zu gehen. Dabei starten wir – auch wenn es schwerfällt, das Pferd schon nach fünf oder zehn Minuten wieder zur Heimkehr zu bewegen – mit wenigen Minuten und steigern die Zeit langsam. Sind nach etwa zwei Wochen 30 Minuten erreicht, können die Pferde auch bei dieser Methode stundenweise auf die Koppel gehen.

Egal ob beim Grasfüttern in der Box oder beim Angrasen per Hand: Bevor die Pferde dann auf die Koppel gehen, kann Heufüttern sinnvoll sein, damit sie sich nicht zu gierig aufs frische Gras stürzen. Pferde, die auf dem Winterauslauf bereits früh im Jahr Gras knabbern, können schneller angeweidet werden.

Gut zu wissen

Weil Pferdeweiden je nach Wetter meist Mitte April zum ersten Mal gedüngt werden, ist es sowohl für das Grasen an der Hand als auch für den Weidestart wichtig, nach dem Düngen genügend Zeitpuffer zu lassen.

Die Düngerkügelchen müssen sich aufgelöst haben, dazu braucht es kräftige Regengüsse, die den Dünger an die Graswurzeln spülen. Sonst hat er keine Chance, in der Pflanze zu wirken, zum anderen fressen die Pferde den Dünger und nehmen zu viel Nitrat auf.

Möchten wir gesund anweiden, ist es zum Start in die Koppelsaison wichtig, das Go des Stallbetreibers abzuwarten: Je nach Wetter, Pflege und Boden der Pferdeweide (eher mager oder eher humusreich) wächst das Gras früher oder später zu einer stabilen Grasnarbe und erlaubt schonende Koppelnutzung.

Pferde gesund anweiden mit Heu?

Ab ins Grüne: Für Shoshos Besitzerin Gabi Alber gehört der Spaziergang zum Grasen im Frühjahr zum Besuchswochenende. Foto: Maresa Mader

Bei Pferden, die ihr Heu über die Computerfütterung bekommen, stellen Stallbetreiber häufig fest, dass weniger Heu abgerufen wird während der Weidesaison – gerade im Frühsommer, wenn das Gras noch verlockend üppig wächst.

Andere Pferde fressen das angebotene Heu trotz Koppelgang mit unvermindertem Appetit, so dass man die Figur, das Gewicht und das Fressverhalten seines Pferdes während der Weideperiode individuell genau beobachten muss.

Gerade zu Beginn der Weidesaison empfiehlt sich für gesundes Anweiden daher der Einsatz einer Pferdewaage – am besten jedes Jahr im selben Monat. So können wir die Gewichtsentwicklung unseres Pferdes dokumentieren und mit dem Vorjahr vergleichen. Dazu werden Fotos gemacht und der Brustumfang gemessen, so dass neben dem optischen Check auch eine Kontrolle des Brustumfangs möglich ist. Der Brustumfang ändert sich schneller als der optische Eindruck des Ernährungszustandes.

Geht das Pferd bereits dick in die Weidesaison oder nimmt schnell zu, heißt es Energie reduzieren – zunächst wird das Kraftfutter gekürzt oder komplett gestrichen, dann Gras und Heu gekürzt.

Bei der Berechnung des Futterbedarfs an Hafer, Heu & Co. während der Weidezeit gilt grundsätzlich, was wir bei „Shoshologisch“ bereits zum Thema Futterbedarf berichtet haben: Wir orientieren uns am Ist- und Sollgewicht des Pferdes und an seiner Leistung.

Gesund anweiden mit Mikronährstoffen?

Brauchen auch Weidepferde zusätzlich noch ein Mineralfutter? Oder ist im Gras alles Lebenswichtige drin, was im Heu fehlt? Shoshologisch-Fütterungsexpertin Dr. Kathrin Irgang erläutert, was im Gras passt und was fehlt.

Einfach runterkommen: Grasen an der Hand gewöhnt den Darm an das neue Futter und ist außerdem Entspannung pur. Foto: Maresa Mader

„Die Mengenelemente Kalzium, Phosphor, Kalium und Magnesium sind ausreichend im Weidegras vorhanden für Erhaltung und Leichte Arbeit“, befindet die Tierärztin mit Ernährungsberatungspraxis in Berlin. „Der Kalziumgehalt im Gras nimmt ab mit zunehmenden Rohfasergehalt: Ein später, stängelreicher erster Schnitt Heu hat weniger Kalzium als ein zweiter blattreicher Schnitt. Kräuter- oder kleereiches Raufutter oder Luzerne enthält viel Kalzium.“

Beim Kalzium-Phosphor-Verhältnis könne es eng werden, wenn viel Heu von späten ersten Schnitten gefüttert wird oder wenn bei Sportpferden der Hafer mit spät geschnittenem Heu kombiniert wird. Hier empfiehlt Dr. Irgang, kalziumhaltiges Mineralfutter zu füttern oder einen Teil des Getreides durch Ergänzungsfutter (Müsli, Pellets) zu ersetzen.

„Auch das Spurenelement Selen braucht besondere Beachtung. Ehe man es gezielt zufüttert, sollte man kontrollieren und analysieren, wie gut das Pferd damit versorgt ist. Denn eine Überversorgung mit Selen durch die unüberlegte Kombination verschiedener Futterzusätze kann genauso schädlich sein wie ein Selen-Mangel“, so Kathrin Irgang.

„Einige Stunden Weide täglich reichen definitiv nicht aus, um zu einer Grundration aus Heu und Getreide den Bedarf an Mineralien und Vitaminen zu decken“.

Dr. Kathrin IrgangTierärztin und Ernährungsspezialistin für Pferde

Als Supplementierung zusätzlich zum Gras empfiehlt Dr. Kathrin Irgang:

  • Bei Pferden mit 24 Stunden Weidegang…
    ein Weide-Mineralfutter mit den Spurenelementen Kupfer (Cu), Zink (Zn), Jod (I) und Selen (Se), ohne Vitamine, dazu gibt‘s einen Salzleckstein. Fettlösliche Vitamine (A, D, E) sind genügend im Weidegras vorhanden. Bei den Spurenelementen Cu, Zn, I und Se sind bei reiner Raufuttergabe (Gras, Heu, Heulage) Defizite zu erwarten. Eisen (Fe) und Mangan (Mn) sind im Weidegras ausreichend vorhanden.
  • Bei wenigen Stunden Weide täglich und mindestens 20 Zentimeter Grasaufwuchs…ein Kombiprodukt mit kompletter Mineral- und Vitaminpalette zusätzlich zum Getreide oder ein Ergänzungsfutter (Müsli, Pellets) passend zu Heu/Heulage. Dazu bekommen auch diese Pferde einen Salzleckstein.

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