Gute Muskeln: Der Check beim Dressurpferd

Shosho, hier im Mai 2021, weist eine schöne Körperharmonie auf. „Fließende Übergange zwischen den Muskelgruppen“, attestiert die Shoshologisch-Expertin Sonja Bley, Richterin und Physiotherapeutin.

Sechs Jahre ist die kleine Shosho und mit ihren 1,65 Zentimetern Stockmaß eine zierliche Persönlichkeit, die sich altersgemäß sehr schön entwickelt. So sieht es das Aubenhausen-Team, das die Hannoveraner Stute ganzheitlich betreut. Auch die Gesundheits- und Zuchtexpertin Sonja Bley aus Horsten in Ostfriesland bescheinigt Shosho gute Muskeln, nachdem sie im Juni 2021 den altersgemäßen Muskelstatus der jungen Stute beurteilt hat.

„Ein sehr harmonisches Reitpferd mit fließenden Übergängen zwischen gleichmäßig entwickelten Muskelgruppen“

Sonja BleyManual- und Physiotherapeutin, Richterin bis Klasse S und bei Stutenleistungsprüfungen des Hannoveraner Verbandes

Warum ist es überhaupt wichtig, beim jungen Pferd zu checken, ob Muskeln sich harmonisch und im Einklang mit der ganzheitlichen Reife entwickeln? Weil zu dicke Muskelpakete ebenso wie eine zu karge Bemuskelung auf Überarbeitung, mangelndes oder falsches Training deuten würden. Und das eine wäre so ungesund wie das andere.

In der Reitausbildung nach klassischer deutscher Lehre spricht man deshalb von jungen (drei- bis vierjährige Pferde) und alten Remonten wie Shosho (fünf- bis sechsjährige Pferde). Sie werden mit Rücksicht auf ihre Jugend trainiert und beurteilt.

„Eine alte Remonte ist immer noch ein junges Pferd und darf auch so aussehen“, betont Sonja Bley, die mit selbst ausgebildeten Pferden Turniere bis Dressur Klasse S ritt. Sie weiß, dass häufig zu früh und zu viel mit jungen Pferden gearbeitet wird. Umso mehr lobt sie das behutsame, geduldige Vorgehen in der Ausbildung, welches sie aus Shoshos Körper lesen kann.

Wenn ein junges Pferd äußerlich stark ausgeprägte Muskeln hat, ist das für Sonja Bley eher Alarmzeichen als Pluspunkt. „Das Pferd muss in der Ausbildung auch von innen heraus körperlich stabil gemacht werden“, sagt sie. „Dazu gibt es ganz kleine Muskeln direkt in Skelettnähe, die für diese Stärke und Stabilität sorgen. Die sieht man von außen nicht. Aber sie sind für ein Reitpferd entscheidend und müssen ebenso behutsam aufgebaut werden wie die für jeden sichtbaren Muskeln.“

Muskeln entfalten sich nur, wenn die Faszien elastisch sind

Behutsam bedeutet: mit viel Geduld und Zeit im Training. Denn nur dann wächst der Muskel gesund und ohne Muskelfaserrisse durch zu starkes Festhalten junger Pferde und künstlich erzeugter Spannung. Sonja Bley sieht sie bei vielen jungen Pferden: „80 Prozent haben Dellen oder Kanten unter dem Fell, die auf Muskelfaserrisse schließen lassen. Der Körper repariert die Fasern, aber der Schaden bleibt meist sichtbar.“

Zeit ist auch ein wichtiger Gesundheitsfaktor für die Faszien. Das sind Bindegewebsstrukturen, die alle Muskeln im Pferdekörper wie ein Netz umgeben und zusammenhalten. „Faszien brauchen sogar zwei- bis dreimal so lange wie der Muskel, um sich im Training elastisch mitdehnen zu können. Sind die Faszien zu eng, fühlt sich der Muskel wie ein Taucher im zu engen Neoprenanzug: Er kann sich kaum bewegen und entfalten.“

Das bedeutet auch: Wenn ein junges Reitpferd keine Muskeln aufbaut, ist nicht automatisch zu wenig Arbeit schuld. Sondern möglicherweise zu viel oder falsches Training ohne Augenmerk auf die Geschmeidigkeit der Faszien.

Wie korrektes Muskeltraining aus physiologischer Sicht aussieht, haben wir ausführlich im Shoshologisch-Beitrag zum Muskelaufbau erklärt. Auch Sonja Bley stimmt dem Pausen-Prinzip uneingeschränkt zu: „Kleine Pausen im Training, große Pausen zwischen den einzelnen Trainingstagen. Das ist A und O, um Muskeln so gut aufzubauen, wie wir es bei Shosho aktuell sehen.“

Schauen wir uns also mal genauer an, was Sonja Bley zu Körperharmonie und Bewegungsbild der Stute zu sagen hat.

„Die Bemuskelung passt zu einem sechsjährigen Pferd. Keine zu ausgeprägte Hinterhandmuskulatur, trotzdem eine schöne runde Kruppe“, sagt sie. „Noch ein klein wenig jugendlich-schlaksig. Dieses Kindliche geht nun allmählich weg, und die letzte Fugenschließung an der Hinterhand findet in diesem Jahr statt. Deshalb wäre es problematisch, wenn Shosho dort schon Muskelpakete hätte, denn das ließe auf schädliches Übertraining schließen.“

Auch Shoshos Halspartie und Vorhand finden Gefallen und sind Indikatoren für die korrekte Ausbildung der Stute. „Die Drosselrinne kommt sehr schön zum Vorschein – ein Zeichen dafür, dass es keine Verspannungen im Hals gibt und dass die Unterhalsmuskulatur nicht übermäßig ausgeprägt ist.“

Zu viel Unterhals würde sich zum Beispiel entwickeln, wenn das Pferd permanent gegen eine zu hart einwirkende Reiterhand gehen würde. Oder wenn es in der Hinterhand zu wenig Kraft hätte und etwa beim Angaloppieren über das Heben von Kopf und Hals Schwung holen müsste.

Bei Shosho hat die Hinterhand genügend Kraft, was Sonja Bley an der Trabbewegung erkennt: „Im Trab zeigt sie eine schöne Fußungsfolge und hebt die Zehe gut – auch das erfordert Kraft.“

Natürliche Trabbewegung: Vorder- und Hinterbeine sind gleichmäßig aktiv und parallel. Foto: Maresa Mader

„Das Genick bildet im Trab den höchsten Punkt, in den Ganaschen ist genügend Freiheit, da ist nichts eng und zusammengezogen oder verspannt“, registriert Sonja Bley. „Die Nacken- und Halsmuskeln gehen gleichmäßig ineinander über.“

Auf den Musculus splenius im Nacken, der Kopf und Hals hebt, hat Sonja Bley dabei ein besonders waches Auge, denn er ist ein wichtiger Gehilfe für die Tragkraft eines Reitpferdes. „Wenn der Splenius ausreichend entwickelt ist und funktioniert, kann das Pferd den Rückenmuskel loslassen und muss ihn nicht festhalten.“

Der Musculus serratus, wichtigster Rumpfträger des Pferdes in der Verbindung von Schulter und Rumpf, ist bei Shosho schon gut ausgebildet und gleichzeitig elastisch, was Sonja Bley am natürlichen Bewegungsablauf im Trab sieht. Vorhand und Hinterhand können parallel und gleichmäßig frei nach vorne schwingen. Ihr Karpalgelenk zieht Shosho im Trab nicht unnatürlich hoch, was wiederum auf eine Verspannung deuten und sich in einer zu starken Unterhalsmuskulatur äußern würde.

Schöne Bergauftendenz im Galopp: Shosho fußt mit der Hinterhand gut unter den Schwerpunkt, trägt den Brustkorb und galoppiert frei aus der Schulter. Foto: Maresa Mader

Sehr gut gefällt Sonja Bley auch, was sie im Galopp erkennt. „Shosho zeigt eine schöne Bergauftendenz. Die Kraft kommt aus der Hinterhand, und die gesamte Muskelkette von der Hinterhand über den Rücken spielt die Bewegung fließend auf die Vorhand. Ganz wichtig ist dabei die Lendenpartie, die bei Shosho die Kraft gut übertragen kann. Als Resultat kommt beim Pferd der Rücken hoch, und es trägt den Brustkorb.“

Schließlich wirft Sonja Bley noch einen Blick auf die Momente, in denen Bereiterin Eilika Böye die Zügel aus der Hand kauen lässt du Shosho sich dehnen darf.

Shosho stützt sich auch bei loser Verbindung zur Hand nicht auf den Zügel, sondern behält ihre stabile Selbsthaltung. Foto: Maresa Mader

„Hier kommen nun wieder die vorhin erwähnten kleinen, stabilisierenden Muskeln entlang der Wirbelsäule ins Spiel. Diese muss man im Training aufbauen, damit das Pferd sich auch noch in Selbsthaltung trägt, wenn die Zügelverbindung locker ist und das Pferd sich nicht auf die Reiterhand stützen kann“, sagt Sonja Bley.

Diese Selbsthaltung ist bei Shosho tadellos, auch wenn Eilika Böye die Zügel hingibt, überstreicht oder aus der Hand kauen lässt. Auch der Schweif pendelt entspannt, registriert Sonja Bley und ist rundum zufrieden: „Eine sechsjährige Stute, bei der Körper und Bewegungen sehr gut zum Ausbildungsstand Übergang Klasse L zu Klasse M passen. Mit dem Training der Lektionen Klasse M, die jetzt zunehmend mehr Versammlung fordern, wird sich die Kruppenmuskulatur noch etwas stärker füllen. Und Shosho wird in den kommenden Monaten weiter zum Dressurpferd heran reifen.“    

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