Zahnfleischtasche behandeln beim Pferd

Dr. Gabi Alber schaut die Zähne ihrer Stute Shosho an.
Zeig her die Zähne: Shoshos Besitzerin Dr. Gabi Alber schaut regelmäßig auf Maul und Zähne und achtet ebenso wie Bereiterin Eilika Böye darauf, ob man Veränderungen von außen erkennt. Foto: Maresa Mader

Die kleine Shosho hat eine winzige Zahnlücke. Bleibt diese unbehandelt, könnte sie bei der jungen Dressurstute größeren Schaden anrichten. Logisch, dass Pferdezahnarzt Dr. Tilman Simon gleich aktiv wird. Seine Diagnose: Ventil-Diastema. Er muss die daraus folgende Zahnfleischtasche behandeln, die an den hinteren Backenzähnen sitzt.

Sein Lösungsweg ist, typisch Tilman Simon, rasch und kompetent handelnd: Der Pferdezahnexperte aus dem bayerischen Warngau, der im Dressurzentrum Aubenhausen außer Shosho auch Olympia-, Grand-Prix- und Nachwuchspferde der Familie von Bredow-Werndl betreut, macht sich direkt an die Arbeit und legt zum Zahnfleischtasche behandeln sein Profi-Handwerkszeug bereit, nachdem er Shoshos Kopf und Kiefer gecheckt hat.

Als erstes kommt die Spritze für das Sedativum zum Einsatz, denn Stute Shosho wird wie für jede Untersuchung und Behandlung an den Zähnen in einen kurzen Dämmerschlummer versetzt. So dass sie auf allen vieren stehenbleibt während der Behandlung, aber vom Eingriff nichts mitbekommt und keine Abwehrreaktionen zeigt, die für Pferd und Tierarzt gefährlich wären.

Zahnfleischtasche behandeln geht nur mit Sedierung

Der Pferdezahnarzt tastet mit den Fingern im Pferdemaul nach Auffälligkeiten,
Mit den Fingern tastet der Pferdezahnarzt im Maul nach Auffälligkeiten. Shosho trägt zur Sicherheit bei jedem Zahn-Check ein Maulgatter. Foto: Maresa Mader

Damit die Stute auch keine Schmerzen hat, falls die Instrumente mal ziepen oder tiefer in Zahnfleischtasche und Kiefer versenkt werden müssen.  „In den Mitteln, die wir zur Sedierung von Pferden einsetzen, ist auch ein Opioid enthalten für die Schmerzlinderung“, sagt Dr. Tilman Simon und betont, wie wichtig die Sedierung bei Zahnbehandlungen ist aus Gründen des Tierschutzes und der Sicherheit. „Das gilt ausnahmslos für alle Pferde, egal wie brav sie auch sein mögen beim Tierarzt.“

Im Falle von Shoshos Diastema und ihrer Zahnfleischtasche, auch Parodontaltasche genannt, muss Tilman Simon tief in den Zahnhalteapparat des Backenzahns hinein und die Zahnfleischtasche kürettieren, also abgestorbenes Gewebe ausräumen.

„Es muss ein bisschen bluten, damit keine Futter- und Gewebereste zurückbleiben, in denen Bakterien weiter nisten könnten. Danach spüle ich die Tasche mit einer antiseptischen Lösung, um alles zu killen, was da lebt.“

Der Pferdezahnspezialist ist Tierarzt mit Zusatzbezeichnung und Weiterbildungsermächtigung Zahnheilkunde, außerdem Equine Veterinary Dentist (SVA). Er betreibt eine Tierärztliche Gemeinschaftspraxis im bayerischen Warngau mit Dentalzentrum in Lenggries, betreut alle Pferde im Dressurzentrum Aubenhausen und ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tierzahnheilkunde. www.herold-simon.de
Dr. Tilman SimonTierarzt und Pferdezahnspezialist aus Warngau in Bayern

Als das Zahnfleischtaschen behandeln abgeschlossen ist, blickt Shosho schon wieder recht munter um sich. „Jetzt noch ein Tag Ruhe ohne Reitgebiss im Maul, dann kann sie wieder ganz normal trainiert werden“, gibt Dr. Simon Nachsorge-Order an Shoshos Bereiterin Eilika Böye: „Falls euch doch noch etwas Ungewöhnliches auffallen sollte, dann informiert mich bitte, und wir kontrollieren ein zweites Mal.“ Eilika Böye, lobt Dr. Simon, ist ohnehin sehr aufmerksam, wenn es um die Gesundheit ihrer Schützlinge geht.

Mundgeruch und Rittigkeitsprobleme sind Alarmzeichen

Ein guter Riecher für Mundgeruch beim Pferd und ein feines Gespür für plötzliche Rittigkeitsprobleme sind wichtige Frühwarnsysteme bei Zahnproblemen. Denn es gibt typische Alarmsignale, auf die Pferdepfleger, Reiter und Pferdetrainer achten müssen, nur dann kann man rechtzeitig die Zahnfleischtasche behandeln.

„Am besten ist es, wenn wir solche Zahnprobleme gleich im Anfangsstadium im Keim ersticken können, wie es bei Shosho geglückt ist“, sagt Tilman Simon, dem die Zahnlücke und die sich bildende kleine Zahnfleischtasche bei der jährlichen Routineuntersuchung aufgefallen ist.

Gut zu wissen

Symptome für Zahnfleischtaschen sind:

+ Fauliger oder eitriger Mundgeruch

+ Pferd kaut sein Futter ungleichmäßig und hält den Kopf schief beim Fressen

+ Ungewöhnliche Kaubewegungen und Gähnen

+ Wickelkauen: Unvollständig zerkautes Futter wird wieder ausgespuckt

+ Muskelverspannungen vor allem im Genickbereich

+ Rittigkeitsprobleme und Mauligkeit beim Reiten

So entstehen Zahnfleischtaschen beim Pferd

Ursache sind Zahnlücken (Diastema), entweder anatomisch, physiologisch oder altersbedingt (seniles Diastema). Die Backenzähne bilden beim Pferd eine optische Einheit und sehen oberflächlich aus wie ein einziger Zahn. Dazwischen sind aber kleine Schlitze.

Beim Heufressen spießen sich leicht harte Heuhalme zwischen Zahnlücken und kommen manchmal nicht mehr raus. Foto: Maresa Mader

Sind diese Schlitze oder Diastemen zu groß, kann das Pferd sich hier Futter einbeißen, egal ob Heu oder Getreide. Das Futter bleibt hängen, fängt unter Luftabschluss an zu gammeln, weil sich Bakterien einnisten und das Futter zersetzen. Sie greifen das Zahnfleisch an und dringen immer weiter in die Tiefe des Zahnhalteapparats ein.

Ungewöhnlich ist das nicht, laut Dr. Simon ist die Zahnfleischtasche oder auch Parodontaltasche eine der häufigsten Erkrankungen bei Pferden. Bei Shosho bildete sie sich an einer Zahnlücke zwischen dem vorvorletzten und dem vorletzten Backenzahn im linken Unterkiefer, und dieses Ventil-Diastema wiederum ist bei der Stute wohl einfach eine angeborene minimale Zahnfehlstellung.

„So etwas fällt unter shit happens, denn jedes Pferd hat irgendetwas, was nicht 100 Prozent perfekt ist“, sagt Dr. Simon.

„Beim Ventil-Diastema treffen die Zahnkanten nicht parallel zusammen, sondern wie die Striche eines umgedrehten V“, beschreibt der Pferdezahnarzt. „Wo die Striche zusammenstoßen, ist ein winziger Spalt, und nach unten zum Zahnfleisch hin gehen die Striche weiter auseinander. Genau dort, in dieser Lücke in der Tiefe, sammeln sich Futterreste und können nicht mehr raus, weil der Spalt oben zu schmal ist. Deshalb habe ich diesen Spalt leicht aufgefräst mit meiner Drei-Millimeter-Fräse, so dass das Futter leichter wieder herausfallen kann.“

Hauptauslöser für Zahnlücken sind ungleiche Kaukräfte

Das ist die hohe Schule der Zahnbearbeitung und gilt auch für vorbeugende Maßnahmen, um ein Diastema zu verhindern oder nicht schlimmer werden zu lassen. Denn der häufigste Grund für Zahnlücken ist laut Tilman Simon ein Missverhältnis der Kaukräfte beider Kiefer, die beim Pferd gewaltig zubeißen müssen, um das harte Pferdefutter, vor allem Heu, zu zerkleinern.

Gut zu wissen

Zahnfleischtaschen beim Pferd vorbeugen

Wichtig ist neben der Beobachtung durch den Reiter, dass der Pferdezahnarzt bei der jährlichen Gebisskontrolle die Okklusion, also den Kontakt der Zahnreihen, prüft und durch Zahnbearbeitung optimiert. Dann treffen die Zahnreihen von Ober- und Unterkiefer gleichmäßig aufeinander, und die Kaukräfte sind harmonisch verteilt auf Schneidezähne, Backenzähne und Kiefergelenke beider Seiten.

Okklusionsoptimierung ist daher auch das Mittel der Wahl, um Gammelfleisch in Parodontaltaschen und letztlich Zahnverlust vorzubeugen. Denn was uns Menschen vor Parodontose bewahrt, funktioniert bei Shosho leider nicht: Unsere Pferde können keine Zahnseide benutzen, wie wir Menschen es tun, um unsere Zahnzwischenräume von Essensresten zu reinigen. Nichtstun ist jedenfalls keine Option, findet Dr. Simon und erzählt, was passieren kann, wenn man die Kontrolle der Pferdezähne schleifen lässt.

„Bei einem erst achtjährigen Patienten musste ich neulich einen Backenzahn ziehen. Der Zahn war intakt, aber er stand komplett im Eiter: Der Zahnhalteapparat war zerstört. Auch das war anfangs mal einfach eine Zahnfleischtasche, die keiner bemerkte und behandelte. Für das Pferd bedeutet es Monate oder Jahre voller Schmerzen, und am Ende fehlt ihm ein wichtiges Stück, um sein Heu zu fressen. Und Heu ist nun mal das Grundnahrungsmittel fürs Pferd.“ 

Dr. Tilman SimonPferdezahnspezialist und Shoshos Zahnarzt